Traumhafter Briefwechsel
16. April 2009 von Donna
Ich fand die Briefe in einem dieser Umzugskartons mit der Aufschrift ‘Arbeitszimmer – unwichtig’, die nach unserem Einzug in das neue Haus mehrere Wochen ihr unbeachtetes Dasein unter der Treppe gefristet hatten. Wir waren endlich so weit fertig, dass nun auch die letzten Spuren des Umzugs beseitigt werden sollten.
Die Briefe fielen aus einer Frauenzeitschrift, sie waren adressiert an meinen Mann, die Schrift eindeutig die einer Frau. Man schrieb von Postfach zu Postfach.
“Ist doch harmlos”, sagte mein Mann, “weißt du, du hast so viele Freunde und Freundinnen, mit denen du dich austauschen kannst – ich habe niemanden. Da entdeckte ich in einer deiner Zeitschriften diese Anzeige und, nun ja, wir schreiben uns, was ist dabei?”
So harmlos empfand ich das allerdings nicht, bis in den letzten Winkel meines Seins war ich verletzt, zutiefst verletzt. Mit tränenverschwommenen Augen las ich in der Zeitschrift die Zeilen, die ihn ermutigt hatten, sich in diese Abenteuer zu stürzen:
Frau, 29 Jahre alt, verheiratet, sucht traumhaften Briefwechsel mit äußerst sensiblem Mann.
Er konnte sich also einer fremden Person anvertrauen. Mir fielen all die Situationen ein, in denen ich ihn inständig gebeten hatte, mit mir zu reden. Es war mir immer wichtig gewesen, ihm nah zu sein, ihn zu verstehen und verstanden zu werden.
Seine Standardantworten waren: 1. Dazu kann/will ich nichts sagen. – Schweigen. 2. Das musst du allein mit dir abmachen. – Schweigen. 3. Du musst selber herausfinden, warum ich sauer auf dich bin. – Langes Schweigen.
“Es tut mir so unendlich weh”, schniefte ich, “das ist doch keine Basis für eine Beziehung. Ich möchte, dass du mit mir über alles redest, dass…” Er unterbrach mich: “Würde es dir leichter fallen, ich würde diesen Briefwechsel mit einem Mann führen?” Ich nickte. “Gut, dann stell dir vor, sie wäre ein Mann!”
“Du machst es dir verdammt einfach. Was ist mit uns? Ich habe schon lange das Gefühl, dass du dich aus allem rausziehst. Du bist der, der im eigenen Saft schmort. Du könntest genau so viele Freundschaften haben wie ich, warum kommst du nicht mit, wenn wir eingeladen sind oder etwas unternehmen. Wir sind doch verheiratet. – Schweigen.
“Wirst du ihr weiterhin schreiben?” “Ja.”
Es ging mir wirklich dreckig in den darauf folgenden Tagen, in denen ich so viel Zeit zum Nachdenken hatte und auch eine Scheidung in Erwägung zog. Aber dann hatte ich die Idee, genau diesen Anzeigentext, auf den mein Mann angesprungen war, in unserer Tageszeitung aufzugeben. Mir war bewusst, dass es sich um eine ganz andere Leserschaft handelte, aber einen Versuch war es wert. Ich war neugierig, welche Männer darauf reagieren würden.
Schnell war ein Postfach eingerichtet – gleiches Recht für alle – und nach ein paar Tagen hielt ich bereits einen großen Umschlag mit über 30 Zuschriften in den Händen. Von eindeutigen Sex-Abenteuer-Angeboten bis zu den hilflosen Zeilen wie ‘Ich kann keine Briefe schreiben, aber für Sie würde ich es gerne versuchen’ war alles enthalten. Zwar hatte ich nie ernstlich in Erwägung gezogen, auch nur einem Mann zu antworten, aber eine Zuschrift berührte mich auf eine seltsame Art und Weise.
Und während meine Ehe irgendwie weiterlief, entwickelte sich für mich ein wahrhaft traumhafter Briefwechsel. Nach einigen Monaten telefonierten wir ab und zu und vor unserem ersten Treffen – dem einzigen – waren wir beide aufgeregt. Wir schrieben uns danach weiterhin, bis eines Tages alles aufflog.
An einem Samstagvormittag übergab der Postbote meinem Mann ein Paket, das ich auf dem Küchentisch vorfand, als ich vom Einkaufen nach Hause kam. Natürlich passt ein Paket nicht in so ein kleines Postfach, aber dass es dann an die Privatadresse weitergeleitet wird, damit hatte mein treuer Brieffreund nicht gerechnet, er wollte mir eine Freude bereiten, keine Schwierigkeiten, das wusste ich genau.
Lange stand ich da wie angewurzelt, unfähig, irgendetwas zu tun. Dann begann ich mechanisch die Einkäufe wegzuräumen. Plötzlich stand mein Mann vor mir, sichtlich aufgebracht donnerte er los: “Kannst du mir das erklären?”
“Ist doch harmlos, reg’ dich nicht auf,” sagte ich ruhig.
“Das nennst du harmlos? Und was passiert da sonst noch alles hinter meinem Rücken?”
Ich schwieg, denn das konnte ich mittlerweile ganz gut.