Momentaufnahme: Sie redet
5. Januar 2010 von Donna
Sie redet und redet und redet.
Sie redet am liebsten über andere Leute.
Sie ist nicht neugierig, sie will nur alles wissen.
Sie lässt keine Gelegenheit aus, Menschen auszufragen. Sie ist regelrecht verstimmt, wenn Informationen nur spärlich fließen.
Sie ist häufig unterwegs, mindestens drei Mal täglich bringt sie Müll weg, holt etwas aus dem Auto oder bringt es hin. Die Gartenarbeiten erledigt sie gezielt zu Zeiten, wenn Menschen von der Arbeit kommen, immer bemüht, Gesprächspartner abzupassen, festzuhalten, aufzuhalten.
Sie ist eine scharfe Beobachterin und hat ein gutes Gedächtnis. Sie kennt viele Menschen besser als sie sich selbst kennen. Bräuchte man ein Alibi, so müsste man sie nur fragen: „Weißt du, ob ich am Abend des soundsovielten mit dem Auto weg war? Wann war ich wieder zu Hause?“ Sie weiß es mit Sicherheit, denn den Parkplatz vor dem Haus hat sie unter Kontrolle.
Sie hat auch die gesamte Müllentsorgung im Blick. Bemerkungen wie: „Hast du deine alten Hausschuhe jetzt endlich entsorgt?“ oder „Neulich war Restmüll in deiner Bio-Tonne!“ lassen darauf schließen.
Sie ist besonders darauf aus, bei den Nachbarn Blumen zu gießen, zu lüften und den Briefkasten zu leeren, während diese im Urlaub weilen. Sie genießt es unendlich, in fremden Wohnungen zu stöbern, würde das natürlich niemals zugeben, aber durch die eine oder andere unbedachte Äußerung hat sie sich selbst verraten.
Sie duldet nicht jeden im Haus. „Diese Trulla wollen wir hier nicht haben!“, sagte sie, als ein Mitbewohner mit seiner neuen Freundin ankam. „Aber sie tun sich vielleicht unendlich gut“, nahm ich die beiden in Schutz. „Das interessiert mich nicht“, war ihre prompte Antwort.
Sie interessiert sich aber sonst für alles. Wer? Wann? Mit wem? Wie lange? Wie oft? Familienverhältnisse. Krankheiten. Einkommensverhältnisse. Feiern. Erbschaftsangelegenheiten. Gerüchte. Prognosen. Das ganze Lebensspektrum.
Sie kennt das Leben. „Mir kann man nichts vormachen“, sagt sie häufig.
Sie erhält bedingungslosen Rückhalt und Non-Stopp-Bestätigung durch ihren Mann, dessen Sprachvermögen im Laufe von 40 Ehejahren regrediert ist gegen Null. Ein stummes Nicken reicht ihr aber völlig, eine Bewegung, die ihm sehr vertraut ist und die er automatisiert hat.