Perfekt! Alles lief wie am Schnürchen. Genauso hatte ich mir das vorgestellt! Anmelden, drankommen, nach Hause fahren. Endlich das lange Wochenende einleiten.
Ich saß im Wartezimmer des Arztes und blätterte ganz interessiert in den ausliegenden Magazinen. Mein Magen erinnerte mich mit lauten Geräuschen daran, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte – und es war gleich nach zwölf. Ich träumte von einer großen Tasse Milchkaffee und einem schönen großen Kaffeeteilchen, das ich mir gleich nach dem Arzttermin aus der Bäckerei gegenüber kaufen würde.
Meine Blicke wanderten hinaus auf den Gang der Gemeinschaftspraxis, die Ärzte unterhielten sich miteinander und ich wurde aufmerksam, als ich plötzlich meinen Namen hörte. „…wir konnten sie gestern Abend nicht mehr erreichen…- …der Wert ist zu hoch… – sie wollte eigentlich heute kommen…“
Beunruhigt legte ich das Magazin aus den Händen, plötzlich war die Lust auf das verspätete Frühstück verflogen. Eine halbe Stunde später saß ich völlig verstört im Warteraum der internistischen Notaufnahme im Krankenhaus. Verdacht auf Thrombose. „Ich kann Sie so unmöglich in das lange Wochenende schicken“, sagte der besorgte Hausarzt, schüttelte mir ermutigend die Hand und lächelte mir freundlich zu. „Rufen Sie mich sofort an, wenn Sie mehr wissen – nach der Untersuchung. Bleiben Sie im Krankenhaus, wenn die Ärzte es Ihnen empfehlen!“
Wie bitte???
Dann ging alles sehr schnell, drei, vier Personen, zwei Ärzte, eine Schwester, alle wollten etwas wissen. „Krankheiten? Allergien? Bitte hinlegen und Ärmel hochkrempeln.“ „Ich will Ihren Blutdruck messen, bitte auch die Hose hochkrempeln für das EKG.“
„Haben Sie Probleme beim Atmen? Rauchen Sie?“ „Nein, ich möchte nur noch am Finger eine Blutentnahme machen. Wie ist das eigentlich mit dem Urin?“ – Öhhh…?
Haben Sie regelmäßig Sex? Nein – das wurde ich nicht gefragt, aber es fehlte hier noch. Ganz benommen lag ich auf der Liege der Notaufnahme. Plötzlich kam ein smarter junger „Wadenbeißer“, die Sorte Ärzte, die sich beim Oberarzt profilieren müssen, aus dem Nebenzimmer.
Mit dem Handy am Ohr, ganz wichtig, setzte er sich an meine linke Seite, band den Arm ab und suchte eine Vene.
Nun war es mit meiner Geduld endgültig zu Ende. Ich schaute den jungen Arzt unverwandt feindselig in die Augen und entzog ihm unsanft meinen Arm. Diesen Wink schien er verstanden zu haben, stand auf und ging wieder hinaus. Der böse Blick hatte also wieder einmal funktioniert und die nette junge Ärztin machte sich an meinen Venen zu schaffen. Dann war das Prozedere vorüber, ich wurde mit einer Kanüle im Arm wieder in den Wartesaal geschickt und dort ging dann die Warterei los.
Stunde um Stunde verging – irgendwann nickte ich ein, wachte wieder auf. Nach vier Stunden kam der Oberarzt, netter Mann, entschuldigte sich bei mir. Wie höflich. Eigentlich ist das hier doch nicht so schlimm, die Stationsschwester hatte mir sogar ein Mittagessen besorgt und mir eine Flasche Mineralwasser hingestellt.
Wie überaus zuvorkommend.
Das Untersuchungsgespräch begann, das Telefon des Arztes klingelte. Notfall. Ein entschuldigender Blick, weg war er. Der Wadenbeißer kam aus dem hinteren Teil des Raumes angelaufen. „Wo ist er hin?“ „Notfall. Ihr Chef ist schon unterwegs!“ Ich grinste etwas bösartig. Und weg war der Fifi.
Dann ging die Warterei wieder los. Zwei Frauen saßen neben mir auf dem Gang. Kein Arzt in der Nähe. Fünf Uhr. Plötzlich erklang ein lauter Schrei. Die Frau neben mir krümmte sich vor Schmerzen, hielt ihre Hand auf die linke Körperhälfte und wimmerte nur noch.
„Meine Hände lösen sich auf!“, schrie die andere Patientin, die vermutlich ein Loch im Hals hatte – Gott sei Dank von einem dicken Mullverband verdeckt. Der Schlafanzug und die Urin- und Blutbeutel, die an ihr hingen, verliehen ihr ein jämmerliches Aussehen. „Junge Frau, können Sie nicht einen Notruf absenden?“ Die beiden sahen mich mit hilflosen Augen an. Voller Panik lief ich zur Station. Die nette Schwester musste her. Sie kam und half.
Dankbare Blicke von der Dame im Rollstuhl, die noch immer wimmerte vor Schmerzen. Ein junger Pfleger kam, um sie zum Arzt zu bringen. Er stand etwas ratlos vor dem Zimmer, aus welchem besagter Arzt vor einer Stunde zu dem Notfall gerufen worden war.
„Der Oberarzt hat einen Notfallpatienten“, sagte ich ganz fachmännisch – schließlich hatte ich gerade zwei Leben gerettet und kannte mich aus.
Der junge Mann lächelte mich nett an – zu einem anderen Zeitpunkt, einem anderen Ort und ohne diese Kanüle im Arm hätte ich durchaus nichts gegen einen netten Plausch einzuwenden gehabt. Aber hier war ich schließlich mit meiner Angst beschäftigt. Also – no flirt.
Der Tag ging langsam seinem Ende zu und ich saß noch immer in der Notaufnahme, als endlich ein anderer Arzt kam, sich meiner annahm und die Untersuchung durchführte.
Das Ergebnis war negativ – es bestand keine Gefahr und ich war dankbar, endlich nach Hause gehen zu dürfen. Erst aber noch: Kanüle aus dem Arm, nein, das macht die Schwester, auschecken, nein, das muss der Wadenbeißer unterschreiben. Irgendwann waren auch diese Hürden genommen, ich saß im Auto und es ging mir plötzlich unglaublich gut. Der Abend versprach viel, die Sonne schien und ich freute mich unsäglich auf ein irgendwie geartetes alkoholisches Getränk – mit oder ohne Bizzel. Hauptsache auf der heimischen Couch. Wie schön doch diese einfachen Dinge des Lebens sein können!