Ihr Blick fiel auf den Kalender, der aufgeschlagen vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Unter dem Datum des nächsten Tages war ein dickes rotes Kreuz…
Morgen würde sie sich mit dem Makler treffen und den Mietvertrag unterschreiben.
Sie sah sich erneut ihre Aufstellung über ihre Finanzen an, die sie feinsäuberlich auf einem karierten Blatt Papier angefertigt hatte. Jeden Posten ging sie noch einmal durch. Zufrieden lächelte sie – ja, sie konnte sie sich leisten, ihre erste eigene Wohnung.
Sie würde nichts von zu Hause mitnehmen, alles sollte neu sein, unbenutzt, unverbraucht, nichts sollte sie erinnern. Seit Tagen beschäftigte sie sich gedanklich mit der Einrichtung. Hell wollte sie alles gestalten, freundlich und gemütlich, rundherum wohlfühlen wollte sie sich in den eineinhalb Zimmern mit der kleinen Kochecke, die in einem Schrank verschwinden konnte.
Sie nahm sich vor, sobald sie morgen die Schlüssel hatte, die ersten Einkäufe zu erledigen. Auf einen Extra-Zettel notierte sie: Wasserkocher, Tee, Kandis, Löffel, Teebecher, Spüli, Geschirrhandtücher. Wie lebendig sie sich fühlte, wenn sie daran dachte, ihre Wohnung mit einer nachmittäglichen Teestunde allein einzuweihen. Beherzt ergänzte sie die Liste um vier Buchstaben und ein Satzzeichen – Sekt!
Sorgfältig schob sie ihre Papiere zusammen, legte sie in eine verschließbare Kassette, die sie im Regal hinter den Büchern versteckte.
Mit viel mehr Schwung als sonst begab sie sich ins Wohnzimmer, wo ihr Mann im Fernsehen die Nachrichten verfolgte.
Nein, niemals würde sie ihn im Stich lassen.
Nach einem schweren Schlaganfall war er seit Jahren am Rollstuhl gefesselt. Seine Betreuung war mittlerweile so aufwändig, dass sie es ohne Pflegepersonal gar nicht mehr schaffen konnte. – Aber Freiräume brauchte sie, raus können aus dem Alltag und der Routine, der Enge und aus ihrer Hilflosigkeit. Sie wollte Kraft schöpfen können für wenige Stunden, um dann heimzukehren, sich neben ihn zu setzen, ihm etwas zu erzählen, vorzulesen, einen Film zu schauen, dabei seine Hand halten und ihm die Tränen trocknen, die ihm in letzter Zeit manchmal lautlos über seine eingefallenen Wangen liefen.