Momentaufnahme: Herr Moppelmann – mo5
24. Januar 2010 von Donna
Herr Moppelmann, charmant, galant, öffnete Sibylle die Beifahrertür, ließ sie einsteigen, schloss die Tür, ging um den Wagen herum und nahm auf der Fahrerseite Platz. Er hatte das Gefühl, es mit einer ganz anderen Frau zu tun zu haben als der, die er in der Physiotherapie-Praxis angetroffen hatte. Auf der Fahrt zum Restaurant plauderten sie ein wenig befangen – und etwas störte ihn ganz gewaltig – je länger Sibylle in dem Auto saß, desto mehr verströmte sich der aufdringliche, fast penetrante Geruch ihres Parfüms, das viele andere Männer als Aphrodisiakum empfunden hätten. Fast wurde ihm schlecht von dieser Kampfgaswolke. Dennoch blieb er freundlich und hoffte darauf, dass sich der Duft in dem Restaurant schon allein durch die Brownsche Molekularbewegung und das größere Raumvolumen in beträchtlichem Maße verflüchtigen würde.
Als sie sich endlich gegenübersaßen beim Aperitif und die Speisen auswählten, konnte er Sibylle genauer anschauen, während sie die Speisekarte studierte. Da war nichts übriggeblieben von der natürlichen, netten Frau mit dem gewinnenden Lächeln. Sie wirkte irgendwie verkrampft und war so aufgebrezelt, dass es fast schon peinlich wirkte. Ohne dass sie etwas sagte, wirkte ihre Ausstrahlung irgendwie laut, aufdringlich und anbiedernd und ließ nicht den geringsten Raum für eine Eroberung seinerseits. Außerdem bildete er sich ein, ihr Parfüm mittlerweile förmlich zu schmecken, was nicht wirklich appetitfördernd war.
Sibylle fühlte sich sehr unwohl. Natürlich bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde. Das störte sie nicht so sehr wie dieser verdammte BH, der sich immer vehementer in die Haut unter ihrer rechten Achsel schnürte. Das bildete sie sich nicht ein, dafür war es zu schmerzhaft. Kaum dass sie die Bestellung aufgegeben hatten, entschuldigte sie sich und steuerte die Damentoilette an. Mehrere Lagen des dort gebräuchlichen Papiers stopfte sie zwischen ihre zarte Haut und das aggresive Synthetikgewebe. Nein, so richtig gut hatte dieser Abend nicht begonnen, das spürte sie genau. Das konnte nur besser werden…
Heinz Werner war sich bezüglich einer Einschätzung der Situation anfangs nicht ganz sicher. Er rief sich ins Gedächtnis, dass Menschen bei einer ersten Begegnung innerhalb von drei Sekunden intuitiv über Sympathie oder Antipathie bezüglich des Gegenübers entscheiden. Sollte er sich gründlich getäuscht haben vor zwei Tagen? In seinen Augen hatte es Sibylle nicht nötig, so übermäßig gestylt und parfümiert aufzutreten und damit bei ihm eine Reaktion zu erzeugen, die er deutlich als Ablehnung identifizierte. Alles an ihr schrie förmlich ‚JA‘ – er dagegen brauchte den Raum für eine behutsame und langsame Annäherung, wo ein ‚VIELLEICHT‘ seine Schwingungen verbreiten konnte und ihn beflügelte über die letztendliche Gewissheit hinaus. Dieser Abend war gelaufen und es galt, ihn mit Anstand zu überstehen…