Herr Moppelmann – mo 18
21. Juli 2010 von Donna
Heinz Werner klingelte Sturm, musste aber dann enttäuscht den Haustürschlüssel benutzen, um in die Wohnung zu kommen. Auf dem Esszimmertisch fand er eine Nachricht: „Sorry! WE-Einkauf! BG – M.“ – umrandet von einem sehr asymmetrisch geratenem Herz. Egal, dafür schlug seines um so dynamischer und symmetrischer und er freute sich auf Marlene und ein bisschen sogar auf Josh, über dessen Spielzeug er hinwegsteigen musste, als er auf der Suche nach einer passenden Blumenvase war.
BG – Bis gleich! – Wo sie nur so lange blieb??
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Sibylles drittes Date war irgendwie von ganz spezieller Art gewesen. Entgegen den Empfehlungen für Dating-Neulinge, sich erst einmal unverbindlich auf einen Kaffee zu treffen – weil man da schnell den Rückzug antreten konnte – hatte sie sich mit „Vivaldi“(=Helmut), einem Orchestermusiker, zum Abendessen verabredet. Schon am Telefon fiel ihr seine undeutliche Aussprache auf, und den Grund für diese Beeinträchtigung bei der Sprachgebung gab er auch schnell preis, nachdem sie sich begrüßt hatten und sich nun gegenüber saßen. Ein wenig gehemmt beim Sprechen und Lächeln, erzählte er ihr ausführlich von vielen schmerzhaften Zahnarztsitzungen und seinem Frontprovisorium, mit dem er kautechnisch sehr zufrieden sei, aber doch eben mit seiner stark veränderten Aussprache nicht.
„Aber egal“, sagte er abschließend, „davon wollen wir uns gar nicht beeinträchtigen lassen, das ist ja keine Krankheit, das sind nur bauliche Maßnahmen, die bald zum Abschluss kommen, und dann ist alles schöner als die ursprüngliche natürliche Ausstattung.“
Die Unterhaltung mit ihm war sehr nett, er war dezent mit seinen Fragen, war darauf bedacht, dass die Redeanteile gleichmäßig verteilt waren und zeigte wahres Interesse an Sibylle, die sich mehr und mehr entspannte, denn so richtig viel Dating-Routine hatte sie ja noch nicht. So plauderte man über dies und das, bis die Speisen serviert wurden und Helmut unbefangen mit großem Appetit zu essen begann. Sibylle war da ein wenig zögerlicher. Wenn sie aufgeregt war – und beim dritten Date durfte man das ja noch sein! – wollte ihr Magen eigentlich in Ruhe gelassen werden. Helmut schenkte galant von dem Wein nach, fragte, ob sie mit ihrem Gericht zufrieden sei und konzentrierte sich wieder auf die die Nahrungsaufnahme, die jäh unterbrochen wurde, da sich das Provisorium, wohl ausgelöst durch unbedachte Überbeanspruchung und zu großes Vertrauen in das Material und dessen Verankerung in verbliebene gesunde Zähne, verabschiedete, indem es in zwei Teile zerbrach. Einfach so, ohne Vorankündigung! Aber Helmut wusste sich zu helfen. Eine Serviette diente dazu, das Teil, das ihn so jämmerlich im Stich gelassen hatte, mitsamt des Halbzerkauten aufzufangen.
„Das ist mir jetzt aber sehr unangenehm, Sibylle“, nuschelte Kauleisten-Helmut, der nun ohne Schneidezähne weiteraß und zum Glück sehr mit sich selbst beschäftigt war, so dass er nicht merkte, dass Sibylle mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte, einen Lachanfall zu unterdrücken. Das war ja Comedy pur!! – Nachdem Helmut nach dem Essen das Mundinnere mit Wein gründlich durchgespült hatte, schnappte er sich die Serviette, entschuldigte sich und suchte die Toilette auf. Es dauerte eine geraume Weile, bis er wiederkam. Diese Zeit brauchte Sibylle aber auch, um sich wieder zu fassen. Meine Güte!! Es gab fast nichts Unerotischeres als ein Mann ohne Zähne!! Und dann die ungenierte Fortführung des Tellerleerens mittels ausschließlicher Backenzahnbenutzung – das musste man erst mal bringen, ohne vor Scham in den Erdboden zu versinken.
„Nichts zu machen“, war sein Kommentar als er sich wieder setzte, „ein glatter Bruch, das Ding ist hin, da muss ich morgen früh sofort Abhilfe schaffen.“ Er hielt ihr das gereinigte Provisorium hin, das sie nur widerwillig in Augenschein nahm.
‚Wie komme ich aus dieser Nummer raus?‘, das war die Frage, die Sibylle am meisten beschäftigte. Helmut schaute sie an mit deutlich eingefallener Oberlippe und zusammengekniffenem Mund, was sein angedeutetes Lächeln sehr verzerrte.
„Dumm gelaufen, aber ich hoffe, dass du mir noch eine zweite Chance gibst“, glaubte sie aus dem, was sie hörte, herauszufiltern.
Helmut bezahlte und überließ dem Kellner ein großzügiges Trinkgeld.