Herr Moppelmann – mo 16
8. Juli 2010 von Donna
Heinz Werner hatte sich den Freitag freigeschaufelt. Mittlerweile schaffte er es, bei guter und vorausschauender Planung spätestens um 14.00 Uhr die Kanzlei zu verlassen, um dann Richtung Bielefeld zu eilen. Marlene… Er würde sie küssen, bis der Arzt kommt… Nein, bevor der käme, würde Josh da sein. Garantiert!
—————————————————-
Kandidat zwei verspätete sich exakt um drei Minuten, was gleich dazu führte, dass er sich in einem Redeschwall, hinter dem sich seine Nervosität verbarg, lang und breit entschuldigte. Sibylle ließ ihn reden, hatte sie doch so die Möglichkeit, ihn in Augenschein zu nehmen. Da er gleich von der Arbeit zu dem Treffen gekommen war, trug er einen Anzug, zu dem die Krawatte (ziemlich viel rot!) und die Schuhe (viel zu sportlich!) überhaupt nicht passten. Nun gut. – Es stellte sich heraus, dass er in seinem Profil zwar angegeben hatte, dass er selbständig ist – weil das bei Frauen immer gut kommt… – er aber Versicherungsfachwirt sei. Voller Inbrunst erzählte er von seinem Gebiet und seinen Kunden, von den im Jahr abgerissenen annähernd 100.000 gefahrenen Kilometern, von Abschlüssen, Prämien ud Provisionen. Sibylle rührte in ihrem Cappuccino – ein Versicherungsvertreter! – oh Gott, gleich würde er nach ihrer Haftpficht- und Hausratversicherung fragen und ihr erklären, dass sie total unterversichert sei. Aber dazu kam es zum Glück nicht. Ihr Gegenüber – nicht unsympathisch, gepflegt und eloquent, aber kleidungsmäßig nicht ganz stilsicher – lehnte sich zufrieden zurück und schaute sie direkt an. Wartete er etwa auf Beifall?
Sie hielt dem Blick stand und schwieg. Immerhin war bis jetzt eine gute halbe Stunde vergangen, ohne dass er überhaupt irgendetwas von ihr hätte wissen wollen. Mehr als das, was sie per Mail ausgetauscht hatten – und das waren die Eckdaten – schien ihn nicht zu interessieren. Deshalb verwirrte sie seine Frage, ob sie es sich mit ihm vorstellen könne, sehr. Er wartete ihre Antwort gar nicht ab, sondern hob erneut an, dass sie sich sehr schnell an seinen Arbeitsrhythmus gewöhnen würde, unter der Woche sei er viel unterwegs, hätte aber auch immer 1-2 Tage in seinem Home-Office zu tun, leider manchmal auch am Wochenende. Interessen? Fußball, ja, so richtig ins Stadion! Hobbys? Nee, keine Zeit!
Ok, das war ja ziemlich eindeutig. Die Welt dieses Vertreter-Fuzzis schien sehr übersichtlich zu sein. Sibylle fühlte sich als Mensch nicht wahrgenommen – und als Frau schon gar nicht! Sie angelte in ihrer Handtasche nach dem Portemonnaie, legte einen 5-Euro-Schein auf den Tisch und stand auf.
Ehe sie etwas sagen konnte, hob Mr. Insurance an – einfühlsam und charmant wie sie ihn in der ganzen gemeinsam verbrachten Zeit kennen gelernt hatte: „Wie, du willst jetzt schon aufbrechen? Nein, so eine attraktive Frau lasse ich doch nicht so einfach gehen. Ich dachte, es sei alles klar zwischen uns!“
Mit dem bezaubernsten Lächeln und einer mittelmäßig erotischen Stimmlage sagte Sibylle nur: „Sorry, deine Vertragsbedingungen kann ich nicht akzeptieren, ich wünsche dir viel Glück bei deinen nächsten Dates!“