Beitrag von YOLANDA zum Schreibprojekt im Mai 2010
29. Mai 2010 von Donna
Perfekt! Alles lief wie am Schnürchen…
…langsamen Schrittes ging er an den gut gefüllten Regalen des Supermarktes entlang. Interessiert schaute er auf die angebotenen Waren, wählte bedächtig die eine oder andere Ware aus, nahm sie in die Hand und betrachtete diese dann ausgiebig von allen Seiten.
Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er die anderen Kunden des Ladens. Niemand beachtete ihn, er schien keine besondere Aufmerksamkeit zu wecken. Die weiteren, nur wenigen Kunden, waren mit ihren Einkäufen beschäftigt und achteten nicht auf den hochgewachsenen Mann im zerschlissenen Mantel. Vom Personal war nur eine einzige Mitarbeiterin zu entdecken, die an der Kasse saß und verträumt zur Eingangstür blickte. Sie war mit ihren Gedanken längst im Feierabend und hoffte, dass die restliche Arbeitszeit möglichst problemlos und schnell vergehen würde.
Diese Zeit, kurz vor Geschäftsschluss war äußerst günstig: Kunden, die noch schnell gehetzt letzte Einkäufe erledigten und Personal, dem nach einem langen Arbeitstag die nötige Konzentration fehlte, gaben ihm die nötige Sicherheit.
Seine Hand glitt in die Manteltasche und befühlte das kleine Päckchen. Ein wohliges Gefühl durchflutete seinen Körper – ein Gefühl der Überlegenheit, das ganz besondere Gefühl es wieder einmal allen gezeigt zu haben: dem Verkaufspersonal und den großen Ladenketten, die ihre Verluste nur zu gerne auf die Kunden abwälzten.
Sein geschultes Auge erkannte sofort, dass die Überwachungskameras des Ladens starr in eine Richtung eingestellt waren und aus Erfahrung wusste er, das so kurz vor Ladenschluss niemand mehr Zeit hatte, die Kontrollmonitore im Büro zu überwachen.
Sollte er es noch einmal wagen? Eine Flasche des teuren Champagners? Es kribbelte in seinen Fingern, er fühlte sich angespannt und erregt. Er wollte noch einmal diesen Kick erleben, diesen Nervenkitzel für eine kurze Zeit, um sich danach körperlich und mental entspannt zu fühlen.
Freundlich lächelte er eine Kundin zu, die ihren vollen Einkaufswagen hastig an ihm vorbei schob, dann wandte er sich dem Spirituosen-Regal zu und prüfte das Angebot. Nur einmal noch sah er der Kundin nach, die ihn schon längst nicht mehr beachtete, dann griff seine Hand nach der teuersten Flasche Champagner und blitzschnell, mit einer geübten Bewegung, verschwand diese in der sorgsam präparierten Innentasche seines Mantels. Perfekt – das war’s! Nach außen hin gelassen, innerlich aber unruhig, ging er zur Kasse.
Die Kassiererin erwachte aus ihrer Lethargie und setzte ein gequältes Lächeln auf. Sie griff nach dem kleinen Päckchen Kaugummi, zog es über den Scanner und nannte ihm den Betrag, den er umständlich aus der Geldbörse passend auf das Laufband legte. Kein „Bitte“ oder „Danke“ kam über ihre Lippen. Mit einem heftigen Schwung schloss sie die Kassenschublade und verfiel wieder in Passivität. Er murmelte leise einen Gruß und verließ unbehelligt den Laden.
Jetzt war er auf der anderen Seite. Mit sich zufrieden, atmete er tief durch. Sein Job als ‚Mystery shopper‘ war erledigt. Etwas abseits des Eingangs notierte er Datum, Uhrzeit und die Waren, die er aus seinem Mantel ans Tageslicht holte, in einem kleinen roten Notizbuch
Morgen früh würde er dem Filialleiter des Supermarktes und dem Verkaufspersonal in einem aufklärenden Gespräch die Waren wieder übergeben. Auf die überraschten Gesichter war er schon jetzt gespannt.
© Yolanda