Beitrag von YOLANDA zum Schreibprojekt im April 2010
17. April 2010 von Donna
GESCHIEDEN
Viel Zeit blieb nicht mehr. Schon in wenigen Stunden…
würde der Richter sein Urteil verkünden, dass sie jede Minute mehr herbeisehnte. ‚Im Namen des Volkes wird die am 25.02.1998 im Standesamt Köln geschlossene Ehe nunmehr rechtskräftig geschieden.‘ Dieser Satz war wichtig.
Nach reiflicher Überlegung und voller Überzeugung hatte sie vor einiger Zeit von ihrem Anwalt den Schriftsatz zum Scheidungsverfahren aufsetzen lassen und sich vorgestellt, wie es ihrem No-Ma, wie sie ihn inzwischen fast liebevoll nannte, wohl erging, wenn er dieses nur wenige Tage später in den Händen halten würde.
Seit einem Jahr lebten sie getrennt, doch der Kontakt zwischen ihnen war ganz und gar nicht abgebrochen. Häufig klingelte am Abend das Telefon und sie plauderten unbefangen wie verliebte Teenager über die Ereignisse des Tages, neckten sich, trösteten sich – jeder zeigte Verständnis für die Situation des anderen.
Auf Distanz war es möglich, die anfängliche Unbeschwertheit ihrer Beziehung wieder aufleben zu lassen.
Die Trennung war eine Folge von Veränderungen, die sich in ihre Ehe eingeschlichen hatten. Immer wieder hatte sie festgestellt, dass ihr der Raum innerhalb ihrer Beziehung fehlte. Immer häufiger stellte sie sich die Frage, wo sie blieb – was ihr Mann eigentlich für sie tat. Lange Zeit waren sie miteinander glücklich und unbeschwert, doch dann wurde sie zu stark und er konnte mit ihrer Stärke nicht umgehen, zog sich zurück und so wurden auch die Gefühle füreinander immer weniger.
Es war also nicht ein Grund, sondern eine Vielzahl kleiner Gründe, der sie darüber nachdenken ließ, wie es eigentlich weitergehen sollte. Offensichtlich war das Ehe-Haltbarkeitsdatum abgelaufen.
Nie hätte sie daran gedacht, ihm wehzutun. Was zuerst wage als vorläufige Trennung planlos in ihren Gedanken wuchs, wurde schließlich zu einem festen Plan.
Im Moment war sie sich sicher, dass es besser gewesen wäre, diesen Plan schon viel früher umzusetzen. Ihre Unzufriedenheit, der anhaltende Selbstbetrug und auch der Betrug an ihm belasteten sie schwer.
Monotonie – ihre Beziehung war zäh und träge – ein Gefühl von ‚das war es jetzt!‘
Sie war wie gelähmt, verlor an Gewicht und viele Tage waren voller Tränen und Selbstzweifeln. Realität oder böser Traum, aus dem sie wieder aufwachen würde?
Innerlich aufgewühlt lief sie durch die Wohnung, in der viele Kleinigkeiten ständig an ihn erinnerten. Mehrmals wechselte sie ihre Kleidung – immer wieder unsicher, ob es auch das Richtige für diesen Anlass sei. Ihre Gedanken wirbelten die vergangenen Jahre kunterbunt durcheinander. Gefühle wie Verzweiflung, Wut, Angst und Zwiespalt wechselten sich in munterer Reihenfolge ab.
Plötzlich unterbrach das Klingeln des Telefons ihre Gedanken. Im Display erkannte sie seine Telefonnummer. Sollte sie abheben? Zweifel machten sich breit – jetzt kurz vor diesem entscheidenden Termin? Zögernd meldete sie sich. ‚Ja, sie hätte nach dem Scheidungstermin noch nichts vor.‘ – ‚Wir werden sehen!‘ Ihre Worte klangen neutral, obwohl es in ihr bebte.
Der Termin im Gericht verlief ohne Komplikationen. Während der Urteilsverkündung senkte sie den Blick, der auf ihren Ehering fiel, den sie noch immer an der rechten Hand trug.
Verstohlen blickte sie zu ihrem No-Ma, der neben seinem Anwalt ebenfalls mit gesenktem Kopf vor dem Richter stand. Auch an seiner Hand blitzte der Ehering kurz auf.
Der Richter sprach den entscheidenden Satz – ihre Ehe gehörte der Vergangenheit an. Nichts verband sie mehr mit dem Mann, der einst für Schmetterlinge im Bauch gesorgt hatte und den sie noch immer liebte.
Über seine randlose Brille musterte der Familienrichter die vor ihm stehenden Personen. Während sich die beiden Anwälte bereits freundlich die Hände schüttelten, standen die frisch geschiedenen Ehepartner beharrlich hinter den kleinen Tischen, so als ob sie auf eine weitere Äußerung des Richters warteten.
„Das war’s! Alles Weitere werden ihre Anwälte klären“, mit diesen Worten verließ er den Raum und riss sie damit aus ihrer Starre.
Ihr Anwalt reichte ihr seine Hand und beglückwünschte sie. Wozu eigentlich? Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Es gab keinen Grund für Glückwünsche.
Ihr Weg in ein neues Leben mit neuen Selbstvertrauen würde noch lang sein und sicher nicht gradlinig verlaufen. Sie musste die Trennung verarbeiten, die Vergangenheit ruhen lassen und sich mit der neuen Situation arrangieren.
Sie fühlte seinen Blick – ihre Augen trafen sich und, es war nicht zu verleugnen, sie erkannte seine Gedanken. Hastig verabschiedete sie sich von ihrem Anwalt und eilte zur Tür. Im Vorbeigehen spürte sie eine zarte, vorsichtige Berührung auf ihrer Schulter. „Machen wir es wie andere auch? Gehen wir jetzt einen Kaffee trinken?“ hörte sie ihren Ex-Ehemann fragen. Ein kaum bemerkbares Zittern lag in seiner Stimme.
Unsicher nickte sie stumm und kämpfte gegen ein aufflackerndes Gefühl von Verunsicherung.
Wenig später, als sie sich im Café gegenübersaßen, versuchten sie anfänglich ein belangloses Gespräch zu beginnen, das gerade Erlebte zu verdrängen. Aus der anfänglichen Beklommenheit entwickelte sich letztendlich eine angenehme Situation, in der sich irgendwann ihre Hände trafen und bei beiden war es plötzlich wieder da – das Gefühl der Vertrautheit.
Wortlos blickten sie einander in die Augen. Die Welt mit all ihren Auf und Ab versank um sie herum.
©Yolanda