Beitrag von Donna zum Schreibprojekt im Oktober 2010
23. Oktober 2010 von Donna
INSPIRATIONEN IN FLORENZ
Niemand hatte damit gerechnet, dass dieses unscheinbare dünne Heftchen aus dem Nachlass des bedeutenden Schriftstellers so persönliche Aufzeichnungen enthalten würde.
21. September 1978
Zauberhaftes Florenz. Beim Auseinanderrücken der Hotelbetten eine Damenuhr gefunden – zierlich – Platin – schwarzes Krokolederband – Handaufzug – Uhrzeit: 20 nach 5 – Gravur auf der Rückseite: D L
22. September 1978
Ich kann mich von dieser Uhr nicht trennen, aber morgen werde ich sie an der Rezeption abgeben. Wenn ich sie in der Hand halte und das Leder sich erwärmt, entströmt ihm ein zarter, pudriger Parfümhauch. D L . Bin noch nicht richtig angekommen. — Heute noch nicht eine einzige Zeile geschrieben…
24. September 1978
D – Denise? Dorothee? Diana? Es entstehen Bilder von Frauen – flüchtige Bilder, die ich willentlich nicht festhalten kann. Was für eine Frau mag D sein? Wie alt sie wohl ist? Mit wem war sie hier? War sie glücklich? – Ich würde sie gerne kennenlernen. — Nichts geschrieben.
27. September 1978
D – Daniela? Mit ganz anderen Augen betrachte ich die Frauen hier, die einheimischen und die Touristinnen, aufmerksamer, eindringlicher, seelenvoller. Fast könnte ich sagen, dass ich sie lese und vergleiche mit meinen vagen Vorstellungen von D, die sich ständig verändern wie die Namen, die ich ihr gebe. — Nichts geschrieben.
28. September 1978
D – Doreen? Traumhuschereien von D. – Woher kommen sie? Was in mir erzeugt sie? Was lässt mich so ruhig und ruhelos gleichzeitig sein? Eine Sehnsucht in mir – eine ungekannte nach einer mir unbekannten Frau. — D nimmt zu viel Raum ein in meinem Denken und Fühlen. Heute ist sie von schlanker Gestalt, biegsam der Körper, ihr Lächeln umwerfend, ihre Bewegungen verführerisch, obwohl sie sich dessen nicht bewusst ist. Ich nehme die Uhr wieder und wieder in die Hand, bin inspiriert, tauche ein in eine ganz andere Welt, in der es an Buchstaben mangelt – das D aber langsam anfängt zu tanzen nach einer einschmeichelnden Melodie, der ich lausche. — Reiseschreibmaschine weggepackt – sinnlos das Herumgehacke auf ihr.
29. September 1978
D – Darya? Sie ist klein, zierlich, dunkelhäutig, spricht mit leicht amerikanischem Akzent, ihre Augen ein Feuerwerk. Sie ist Journalistin – ganz klar. — Das Nichtschreiben strengt mich an – kaum zu glauben! Ich streune stundenlang durch die Stadt, die ich wie meine Westentasche kenne, ziellos, suchend.
3. Oktober 1978
D – Doris? Sie ist blond, das Haar sonnengebleicht, die Augen blau wie das Meer. Sie hat besonders schöne Hände. – Meine Verzweiflung nimmt zu – das Suchen nach D in meinem Inneren und im Äußeren ist zur Sucht geworden, der ich nicht mehr Herr bin… Was suche ich wirklich? — Schreibpause
10. Oktober 1978
D – Daisy? D – D – D – D- D… Eine lange vertane Woche – nein, nicht vertan! Die Sinne sind geschärft wie nie zuvor – in mir beginnt etwas zu reifen – ich darf es nicht stören, noch nicht in Worte kleiden. Aber bald, ganz bald, das spüre ich, werde ich schreiben, wird es überfließen – und ich habe schon einen leisen Verdacht, wovon mein neuer Roman handeln wird…
11. Oktober 1978
D L. Ein hartes Stück Arbeit liegt hinter mir – habe mit jeder Faser meines Seins alles abgespeichert, um es bei Bedarf hervorzuholen. Abreise morgen – Koffer packen – Uhr abgeben – oder nicht?