Beitrag von Donna zum Schreibprojekt im Oktober 2009
17. Oktober 2009 von Donna
M : A : G : I : E
Seit dem letzten Herbst hatte sich so viel verändert. Nachdenklich stand sie am Fenster und schaute hinaus in den Nebel, der sich nur langsam lichtete. Ihr ganzes Leben lang hatte sie zwar gehofft, dass irgendwann etwas Zauberhaft-Magisches in ihr Leben treten würde, aber sie hatte nie wirklich daran geglaubt.
Dann war Salvatore Meloni in ihren Alltag getreten, ein jung gebliebener Sarde in den Fünfzigern, der das Team des Übersetzungsbüros, in dem auch sie arbeitete, in vielfältiger Weise bereicherte. Er war es, der sie inspirierte, ihre Herbstferien auf Sardinien zu verbringen. Es war mit seiner Hilfe so leicht, die Anreise, die Unterkunft und den Aufenthalt zu organisieren.
„Vielleicht wirst du gar nicht zum Lesen kommen“, sagte er am letzten Arbeitstag und übergab ihr ein schweres gebundenes Buch mit dem Titel ‚Die Wunschkugel‘. „Eine gute Zeit in meiner Heimat wünsche ich dir.“
Sie verbrachte herrliche Tage, genoss die Landschaft, die Orte, die Farben, die Gerüche, die Sonne und den Strand. Als sie am Pikkolo Pevero ein 20-Cent-Stück fand, hob sie es auf, spuckte darauf – denn das soll ja angeblich den Reichtum mehren – und ließ es in ihre Hosentasche gleiten. Nur wenige Meter weiter sah sie erneut etwas im Sand glitzern – eine kleine grünlich schimmernde Kugel. Sie rieb den Sand ab, wollte das Fundstück, das sich als kleines, klingendes Glöckchen, das man als Anhänger tragen konnte, schon achtlos fallen lassen, als ihr das Buch wieder einfiel. Sie hatte vor der Abreise noch darin gelesen und war fasziniert gewesen von der Wunschkugel, die von Kapitel zu Kapitel rollte und das Schicksal des jeweiligen Besitzers auf wundersame Weise beeinflusste. Da es zu schwer war für das Reisegepäck, hatte sie es daheim gelassen, was sie jetzt schmerzlich bedauerte. ’20 Cent und ein Wunschglöckchen‘, dachte sie, ’nicht schlecht die Strandgut-Ausbeute – vielleicht sogar vielversprechend…‘
Es war schwer, sich wieder an das stürmische und nasskalte Wetter in Deutschland zu gewöhnen und sich in den Alltag einzufinden. Magie wirkt leise und kaum vernehmbar, doch davon merkte sie in der Hektik und Betriebsamkeit nichts. Es ging auf Weihnachten zu, als sie den Brief eines Notars erhielt, der ihr mitteilte, dass sie in einer Erbschaftsangelegenheit Kontakt zu ihm aufnehmen solle. In einem persönlichen Gespräch 14 Tage später erfuhr sie vom Tod einer entfernten Verwandten und der ihr zustehenden Summe von knapp 300 000 Euro – unfassbar erschien ihr der plötzliche unerwartete Reichtum. Was sollte sie vernünftigerweise damit anfangen?
Die ganzen Feiertage überlegte sie hin und her und kam erst zu einem Entschluss, als sie zwischen den Jahren das Wunschglöckchen in die Hände nahm. Da wusste sie in ihrem Inneren genau, was zu tun war.
„Ich bin keine große Erzählerin“, sagte sie laut zu sich selbst, “ außer ein paar kleinen Erzählungen, die ich nur für mich geschrieben habe in meiner knapp bemessenen Freizeit, ist nichts von Bedeutung aus meiner Feder geflossen. Aber ich werde schreiben, und zwar auf Sardinien…“
Der Nebel hatte sich aufgelöst, schnell stieg die Temperatur auf fast 30 Grad, ein leichter Wind wehte – das ideale Wetter, um im Schatten bei einem guten Kaffee das letzte Kapitel ihres Romanes zu beginnen.