Paare: Mr. Blaubart
16. Januar 2009 von Donna
“So schnell vorbei deine große Liebe?”, fragte Nora erstaunt, “du wolltest doch die ganzen Semesterferien bleiben. Was ist passiert?” Sie umarmte mich liebevoll und fürsorglich bei der Begrüßung. “Komm, ich koche uns einen Tee und dann erzählst du.”
Tränen schossen mir in die Augen, ich schniefte ein bisschen. “Tee ist heute für mich nicht das passende Getränk, hast du etwas mit ein paar Umdrehungen? Ich brauche das jetzt.”
“So schlimm?”
“Noch schlimmer!” Ich folgte ihr in die Küche und setzte mich an den Tisch. Wie viele Gespräche hatten wir hier schon geführt? Was hatten wir beide alles verhackstückt und bequasselt… Na, wie wirkliche Freundinnen eben.
“Ist Rotwein ok? Oder ist etwas Stärkeres angesagt?”
Ich nickte und wusste, dass ich sie damit auf die Palme brachte. Ja, ja, Entscheidungsfragen bedürfen einer präzisen Antwort. “Rotwein ist gut.”
Nachdem sie die Gläser gefüllt hatte, setzte sie sich zu mir. “Dann schieß mal los, vielleicht ist ja noch etwas zu retten.”
Ich nahm einen Schluck und begann: ” Also, du weißt, dass ich unsere Regelung mit unseren eigenen Wohnungen gut finde, es aber auch immer genieße, in den Semesterferien für ein paar Wochen zu Sven zu ziehen. Wir beide feiern das jedes Mal ein bisschen – das haben wir auch an diesem Wochenende getan, wir haben das erste Mal so richtig gemeinsame Zukunftspläne geschmiedet, ernsthafte Pläne – du verstehst? Am Montag, bevor er ins Geschäft fuhr, bat er mich, einige Hosen, die er über einen Stuhl gelegt hatte, zur Reinigung zu bringen. An diesem Tag hatte ich sowieso etwas in der Stadt zu erledigen und als ich dann am späten Vormittag loswollte, schnappte ich mir die Hosen, um sie für den Transport in eine große Plastiktüte zu stecken. Dabei fiel ein Schlüssel aus einer Hosentasche. Ich wunderte mich, denn es war nicht irgendein Schlüssel, sondern so ein ganz alter. Sofort wusste ich, dass er zu dem großen antiken Bauernschrank im Durchgangszimmer gehörte. Sven hatte mal erwähnt, dass sich in ihm nur unwichtiges Zeugs befindet und er den Schlüssel seit Ewigkeiten verkramt hatte. Du, und dann hat sich das alles irgendwie verselbständigt wie in dem Blaubart-Märchen. Ich hielt also den Schlüssel in der Hand und ohne großartig zu zu überlegen, was ich da tat, steuerte ich zielstrebig auf den Schrank zu. Kaum dass ich den Schlüssel im Schloss umgedreht hatte, sprang die Tür auf und mit voller Wucht wurde ich von einer leicht bekleideten Frau mit langen blonden Haaren und starrem Blick fast erschlagen. Ich schrie auf und hielt dieses lebensgroße Spielzeug irgendwie fest. Mein Herz raste, schnell befreite ich mich von ihr, indem ich sie zurückbeförderte. Nun hätte ich ja eigentlich genug haben sollen, aber ich schaute weiter: hunderte von Videos und Tonnen eindeutiger Magazine waren da gestapelt.
Lange hielt ich den Schlüssel in der Hand, nachdem ich die Tür wieder verschlossen hatte. Ein seltsamer gedankenleerer Zustand hatte sich bei mir eingestellt, der wohl auch mit dazu beitrug, die Gefühle zu Sven außerhalb meines Bewusstseins zu verlagern oder sogar vollständig aufzulösen.
Als ich wieder zu mir kam, handelte ich sehr schnell. Ich fühlte mich schrecklich – ich verstand das alles nicht. Aber mir war klar, dass ich diese Neigungen von Sven nicht würde akzeptieren können, aus welchen Gründen auch immer, dass diese Plastikpuppe immer zwischen uns stehen würde… Verletzt fühlte ich mich – wie hatte Sven mich als Frau wahrgenommen? Was war ich für ihn? Warum brauchte er das alles? Langweilte ich ihn? War ich ihm zu bieder, nicht raffiniert genug?
Ich brachte die Hosen in die Reinigung, wieder in seiner Wohnung klemmte ich den Abholschein an die Pin-Wand. Dann packte ich meine Sachen und rief Sven an. Eine Ausrede musste her, ich faselte etwas von meiner plötzlich erkrankten Mutter.” Wieder fing ich ein bisschen an zu weinen.
“Das klingt ja wie in einem schlechten Film”, kommentierte Nora meine Ausführungen, “und jetzt, was machst du jetzt?”
Stumm legte ich den besagten Schlüssel neben mein Weinglas und sah sie fragend an.
“Oh je, das wird ja immer bunter. Ziemlich verfahrene Kiste, würde ich sagen. Und den Schlüssel, warum hast du den mitgenommen?”
“Keine Ahnung, aber er wird mir einige Erklärungen ersparen, denn ich schicke ihn noch heute zurück. Hast du ein Blatt Papier für mich und einen Stift?”
Nachdem Nora mir beides gebracht hatte, schrieb ich auf einmal mit großer Klarheit: Sorry, Mr. Blaubart, der Schlüssel fiel aus deiner Hosentasche (Reinigung!) – ich bin dir entkommen, bitte suche nicht nach mir, du musst selbst sehen, dass dein Märchen gut ausgeht.
“Nicht schlecht”, bemerkte Nora, “aber wenn er das Märchen nicht kennt, dann versteht er deine Zeilen gar nicht.”
“Ach, das ist nicht mein Problem, hast du noch einen Schluck Rotwein für mich?”