Momentaufnahme: Mondfrauen-Pflaumentraum
27. August 2009 von Donna
Einen ganzen Eimer Pflaumen habe ich geschenkt bekommen – eine schöne Gelegenheit, Marmelade zu kochen. Mir fällt bei all dem Überfluss an Früchten ein, dass ich im letzten Jahr ein neues Rezept ausprobiert habe – SchokoPflaumenIrgendetwas… Das Rezept finde ich schnell wieder.
1 Kilogramm entsteinte Pflaumen werden mit 300 Gramm braunem Zucker vermischt und 24 Stunden im geschlossenen Gefäß aufbewahrt.
Na prima, denke ich, dann kann ich morgen erst weiter produzieren. Ich stelle die Gläser schon mal raus und lese weiter:
Pflaumen in einem Topf mit dickem Boden auf kleiner Flamme eineinhalb Stunden unter Rühren köcheln lassen.
Dabei erinnere ich mich an eine Freundin, die beim stundenlangen Chutney-Kochen und Rühren immer ein Buch liest. Kein Problem, dann wird „DIE FRAU IM MOND“ mir dabei über die Schulter schauen. Ich freue mich auf das Litera-Kulinaria-Event in meiner Küche.
Gut, die Pflaumen blubbern leise im gusseisernen Topf, schnell erfüllt ein sagenhafter Duft den Raum, während ich mich einlese. Noch ist es ganz gemütlich, so alle paar und ein bisschen Seiten erhebe ich mich von meinem Lesesessel, um den noch recht flüssigen Zauberbrei umzurühren.
…denn als kleines Kind hatte man ihm eingebläut, keinen Schmerz zu zeigen. Da konnte die Großmutter die Tränen nicht länger zurückhalten, denn ihr hatte man beigebracht, mit der Freude hinterm Berg zu halten.
Doch nach fast einer Stunde wird häufigeres Umrühren notwendig. Ich stehe jetzt mit dem Buch in der Hand am Herd.
Zwar besagte die landläufige Meinung, dass ein fünfzigjähriger Mann niemals eine gleichaltrige Frau anschauen würde, doch das war eine Auffassung, die nur aus irdischem Blickwinkel galt. Die Liebe war eine ganz andere Sache. Die Liebe scherte sich nicht um das Alter, Liebe war Liebe, basta.
Rühren und Lesen.
…denn die Liebe war viel wichtiger als alles andere auf der Welt.
Oh, jetzt muss ich aber aufpassen. Der Fruchtbrei hat gleich – nur wenige Seiten noch – die richtige Konsistenz.
…weil sie wieder fürchtete, ihrem Sohn jene Art von Verrücktheit vererbt zu haben, die die Liebe in die Flucht schlägt.
1/2 Teelöffel Zimt und 1/2 Teelöffel Lebkuchengewürz in die Mischung einrühren, ebenso 80 – 100 Gramm Zartbitterschokolade von guter Qualität.
Es duftet verführerisch, ich probiere von der Leckerei und fülle sie ab in Gläser.
Und jetzt schnell weiterlesen, ganz gemütlich im Sessel.
Und die Sehnsucht ist eine traurige Sache, aber ein wenig Freude ist auch dabei.
…denn so ist das Leben nun mal, ein Hin- und Herpendeln zwischen Ordnung und Unordnung, ansonsten würde die Welt erstarren und stehen bleiben.
Die Welt um mich ist stehen geblieben, definitiv! Ich bin im Leserausch, die Unordnung in der Küche stört mich nicht im Geringsten. Ich muss wissen, wie die Geschichte endet.
…und hatten das Gefühl, von einem Wirbelwind aus Leichtsinn erfasst zu werden und dass Glück möglich war.
Nein, das ist nicht das Ende, das Ende ist ein anderes, ein unverhofftes, ein überraschendes… Ach, lest es selbst.
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Zitate aus: Milena Agus, Die Frau im Mond, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009