Beitrag von XENIA zu Donnas Schreibprojekt
24. Juli 2009 von Donna
Urlaub
Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal mit ihr in den Urlaub gefahren war. Nein, wirklich nicht, sein Gedächtnis ließ ihn jämmerlich im Stich. Waren sie nicht in den achtziger Jahren zuletzt zusammen in Italien gewesen, am Mittelmeer, an der Adria? Oder doch Ende der siebziger, als er in seinem selbst gebauten Boot auf sie gewartet hatte? Gewartet und gewartet, wo blieb sie denn? Sie war geschwommen, um ihr Leben geschwommen zu ihm, denn die Distanz zwischen dem Ufer und seinem Boot war immens und sie musste durch ein Meer von Quallen, das sie wie ein glitschiger rötlich-weißer Teppich umwaberte, der größer und immer größer zu werden schien, je weiter sie an das Boot heran schwamm. Sie hatte ihn gerufen, vor Grauen und Ekel geschrieen, er möge ihr helfen, doch er hatte sie nicht gehört. Gelangweilt saß er an einem halb verrosteten Karabinerhaken, den er reparierte, als sie bald starr vor Angst und völlig entkräftet endlich ins Boot kletterte. Nicht einmal die Hand hatte er ihr gereicht vor lauter Ärger und Ungeduld. Lächerlich findet er noch heute jene Traumatisierung, die sie dadurch entwickelte. Nie wieder will sie im Meer baden.
Jetzt, im Sommer, dürstet es sie wie jedes Jahr danach, mit ihm in den großen Ferien zu verreisen, auszuspannen, die Seele baumeln zu lassen, etwas anderes zu sehen und zu erleben, das weiß er. Seit bald dreißig Jahren dasselbe. Dabei will er in diesem Sommer das Bad richten. Alles soll grunderneuert werden. Und eine Fußbodenheizung soll hinein, das entspricht seinen Vorstellungen, warme Füße, auch im Winter.
Wo ist sie denn nur wieder?, überlegt er, als er die zerlesene Tageszeitung achtlos auf den Couchtisch wirft. Wieder mal einkaufen? Mit Sicherheit.
Flugs erhebt er sich aus seinem braun ledernen Ohrensessel, hastet auf die Badezimmertür zu, reißt sie auf, scheucht die alte Katze, die er noch nie leiden konnte, rasch vom Fensterbrett, rafft eilends gebrauchte und frische Handtücher, Bademäntel, Duschvorlagen, soviel er tragen kann, aus den vier Fächern der Regale und von den Haken, rennt ins Schlafzimmer, wirft alles auf die Betten. Dreimal muss er gehen, um diese Dinge zu beseitigen. Schnell, schnell, denn jeden Moment kann sie kommen. Den eilig herbei gesuchten Kaminholzkorb füllt er hurtig mit Duschgel, Badeschaumfläschchen, Seifenpackungen, Zahnpastatuben, Zahnbürsten, Wattestäbchen, Haarbürsten, Kämmen, Handspiegeln, diversen Cremes und Parfumflaschen. Wieviel hat sie nur von diesem teuren Zeugs? Wo er doch immer nur eines benutzt, wozu sie ihn dauernd anhält. Den vollen Weidenkorb hebt er fast atemlos zurück ins Wohnzimmer, nun noch die Klobürste daneben. Und jetzt geschwind die Dekoartikel auf den Kaminsims, diverse Leuchter, Schalen, Karaffen, Figuren und Figürchen, die Bilder der beiden Söhne. Das waren noch Zeiten! Was sie so alles angehäuft hat, es nimmt kein Ende!, schimpft er laut und verärgert und ackert und ächzt weiter und stöhnt auf, sie mit ihrer Quallenphobie und dann Urlaub? Mit ihm? Wohin denn? Albern.
Der Akkuschrauber muss her, wo ist er, wo? Den hatte er neulich zur Reparatur der Waschmaschine benutzt. Da, im Keller, rechts unter der Treppe, vergessen, liegen gelassen, aber egal, er hat ihn gefunden. Und schon ist er dabei die Spiegelschränke auszubauen, gefolgt von Lampenschirmen, Handtuchstangen, Toilettenpapierhalter und sämtlichen Messinghaken. Schnell bringt er Fassungen an, denn er benötigt dringend Licht.
Bevor er die schmiedeeiserne Gardinenstange demontieren kann, nimmt er die weiße Chiffongardine ab, trägt sie, diesmal langsam und vorsichtig, in seinen Armen vor sich her und legt sie sorgfältig, beinahe behutsam über seinen Sessel und streicht sie glatt, ja streichelt sie fast und denkt: Wie ein Brautkleid, wie ihr Brautkleid damals.
Angestrengt wuchtet er als nächstes die beiden Badezimmerschränke auf den Flur, der Schweiß rinnt ihm inzwischen von Stirn und Schläfen. Sie ist immer noch nicht zurück, freut er sich jetzt, und ich habe schon so viel geschafft! Es folgen der große Wandspiegelschrank und die Duschverglasung, beides verfrachtet er unter Mühen in der Waschküche des Kellers. In seinem Werkzeugkasten findet er Blindstopfen, die er sorgfältig nach der Demontage der Armaturen auf die Wasseranschlüsse von Toilette und Waschbecken schraubt, beide stellt er wo, ah, in der Garage unter. Den vorher entleerten Toilettenspülkasten deponiert er schnaufend in einer Ecke des Gartenschuppens. Nur die Wanne wird er nicht allein aus dem Bad befördern können, hierzu benötigt er die Hilfe des Nachbarn oder besser die des Mannes ihrer Freundin? Sollte er diesen Kompromiss eingehen, ihr zuliebe?
Als sie vom Einkaufen nach Hause kommt, vernimmt sie noch vor der Haustür ohrenbetäubenden Baumaschinenlärm. Im Flur ihres Hauses erwartet sie bereits eine graue Staubschicht. Entsetzt öffnet sie die Badezimmertür und ist im Nu schmutzbedeckt.
Handwerker sind überflüssig!, jauchzt er erfreut, vor Anstrengung hochrot im Gesicht, Haare und Bart weißgrau vor Staub, als er sie erspäht, unnütz und teuer sind sie und machen nur Dreck. Selbst ist der Mann mit seinem Freund, dem Bosch-Hammer!
Sie schweigt und zieht sich ermattet in den Flur zurück. Das ist er, mein diesjähriger Urlaub, überlegt sie. Abends würde sie mit ihrer Freundin telefonieren.
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