26. Dezember
26. Dezember 2020 von Donna
WEIHNACHTSBRIEFE
Weihnachten stand vor der Tür und wieder einmal hatte es diese endlosen Diskussionen gegeben…
…Diskussionen der Klasse 6b um die Planung des diesjährigen Weihnachtsevents. Spielstunde, Waffeln backen, Film gucken, das Übliche. Lautes Stimmengewirr, bis sich Cäcilia zu Wort meldete und sagte: „Wie wär’s, wenn wir Weihnachtsbriefe schreiben würden – so wie Theodor Fontane und Gottfried Keller das getan haben, das haben wir doch gerade erst im Deutschunterricht besprochen. Jeder schreibt einen Brief an jemanden, den er mag oder der gar nicht damit rechnet oder…“
Sie wurde unterbrochen durch Zwischenrufe und Unmutsäußerungen, ließ sich aber nicht abwürgen. „Also, ich fänd’s klasse. Keine E-Mails, keine SMS, nichts Gechattetes, sondern so ein richtig schöner Weihnachtsbrief“, nahm sie ihr Anliegen wieder auf.
Ein cleverer Mitschüler kommentierte das sofort: „Das würde ich nur machen, wenn Frau Nemath uns das als Hausaufgaben aufgibt. Ist doch voll altmodisch!“
Frau Nemath, ebenfalls sehr clever, schaltete blitzschnell: „Also, die Idee von Cäcilia ist gut. Ich formuliere die Hausaufgaben: Jeder schreibt einen Weihnachtsbrief an eine Person eigener Wahl – überlegt euch genau, an wen ihr schreiben wollt. Ihr habt drei Tage Zeit, bringt die Briefe in einem adressierten und frankierten Umschlag mit, den ihr nicht zuklebt. Ich werde die Briefe nicht lesen, nur kurz kontrollieren, ob ihr da nicht Reklame oder was weiß ich verschickt, nicht wahr, Roman, man kann ja nie wissen…Diese Briefe werden hier in der Schule zugeklebt und ich werfe sie alle ein.“
Wieder wurde die Klasse laut, aber Frau Nemath sagte mit fester Stimme: “ Das war eine Mitteilung, ein Arbeitsauftrag, keine Diskussionsgrundlage!“ Sie zückte ihren Stabilo-Stift und trug die Aufgabe ins Klassenbuch ein. Da die Schüler zu einem annehmbaren Geräuschpegel zurückkehrten, fügte sie lächelnd hinzu: „Ach ja, schafft ihr das Waffelbacken in der letzten Stunde vor Weihnachten eigenständig zu organisieren? Das soll natürlich nicht ausfallen, im Gegenteil.“
Die Klasse schien versöhnt zu sein und Cäcilia erleichert.
Drei Tage später sammelte Frau Nemath die Briefe ein – zwei Schüler hatten die Hausaufgaben nicht erledigt – naja, das war zu erwarten. Sie inspizierte alles flüchtig, denn das Briefgeheimnis sollte ja vorbildlich gewahrt bleiben. Nachdem die Briefe allesamt nachmittags in dem Schlund des gelben Kastens verschwunden waren, legte sie das Thema erst mal ad acta – bis…
Bis sie am nächsten Tag selbst einen wunderschönen Weihnachtsbrief in der Hand hielt – er war von Cäcilia. Natürlich schrieb sie ihr am selben Tag noch zurück. Aber damit war die Aktion noch nicht beendet. In den folgenden Unterrichtsstunden erzählten viele Schüler von dem Feedback, das sie auf ihre Briefe erhalten hatten, von einer erstaunten Nachbarin, der Patentante, der Oma, dem Freund, der Mutter…
Und plötzlich waren Weihnachtsbriefe richtig cool.
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